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Die schwarze indische Göttin Kali – die Kali Göttin

Göttin Kali auf Shiva tanzend
Die Göttin Kali nackt, nur mit einer Kette aus Männerköpfen und einem Gürtel aus Armen bedeckt, auf Shiva tanzend

Wer sich für die Götterwelt der Hindus interessiert, kommt an der mächtigen Göttin Kali nicht vorbei. Kali wird „Kālī“ ausgesprochen, also mit einem langen _a_ und einem langen _i_. Das mythische Bild, wie die schwarz-gelockte, indigo-häutige Göttin barfuß auf dem Leib ihres Gatten Shiva tanzt, gibt es in unzähligen Versionen. Sie wird als Göttin des Todes, der Transformation, die alle Bindungen an das irdische Leben zerstört, beschrieben. 

Voraussichtliche Lesedauer: 9 Minuten

Die Kali Göttin

Deutlicher noch als bei vielen anderen Gottheiten, welcher Mythologie, welcher Religion auch immer, scheinen die Beschreibungen ihrer Anhänger andersgläubigen, also zum Beispiel Christen, sehr, sehr fremd zu sein. Umgekehrt wird es aber auch so sein: Wie man die Kali Göttin für ein blutrünstiges Ungeheuer halten kann, wird den Verehrern der Göttin selbst ein Rätsel sein müssen. Fremdbeschreibung versus Selbstbeschreibung einer Religion – was tun? 

Die für Briten erschreckende Göttin der Inder

Die indische Göttin Kali
Indische Göttin Kali steht auf dem Leichnam ihres Gatten Shiva.

Mithu Sanyal, eine deutsche Kulturwissenschaftlerin indischer Herkunft, beschreibt in ihrer Dissertation den Schrecken der britischen Kolonialisten im 17. Jahrhundert auf diese Göttin. 

Entsetzte Briten

Sie beschreibt das Entsetzen der Briten in etwa so: Das Herz des Dorfes, in dem die Briten sich umschauten, war ein Tempel und nach diesem Tempel – Kalighat (Kali-Tempel) – war auch das Dorf benannt. Die Briten nannten das Dorf Kalkutta – ein Name, der bis heute ein Sinnbild europäischen Kolonialismus ist. Die Briten waren vermutlich zumindest mehr oder weniger gläubige Christen.

Vor diesem Hintergrund ist es normal und verständlich, wie erschüttert die Briten die wichtigste Gottheit der Menschen in dieser Gegend erlebten. Sie wollten nicht glauben, so beschreibt es Mithu Sanyal, dass diese schwarze Göttin nicht nur in ihrem Tempel, sondern im ganzen Ort, in jedem Haus verehrt wurde. Denn diese Gottheit, obgleich eindeutig nicht nur Frau, sondern nackte Frau, schien so gar nichts mit den britischen Vorstellungen einer Göttin zu tun haben.

Maria und Kali? Geht gar nicht!

Die Unterschiede zwischen der wild ekstatisch tanzenden Kali und der jungfräulich mütterlichen Maria waren so groß, dass unmöglich beides weibliche hochverehrte Gottheiten sein konnten. Und so deuteten die Briten die Bilder der Göttin vor dem Hintergrund ihrer eigenen Religion. Die abgeschnittenen Köpfe von Männern, mit denen die Göttin sich schmückte, die Sichel in der Hand, das wilde ekstatische Lachen entsetzte die Briten. Diese Göttin musste eine Menschenfresserin sein – wildeste Barbarei. Ihr Entsetzen prägte in der Folge die in Europa gängigen Vorstellungen von Kali als blutrünstigem Monster. 

Noch heute, wer in Wikipedia nachlesen will, möge dies unter dem Stichwort Kalighat tun, gilt diese britisch koloniale Sicht als Tatsache. 

„Unsere Maha Kali“

Eine ganz andere Deutung der auf Shiva tanzenden Kali ist für Anhänger des Shaktakultes, also all jene, die diese Göttin verehren, ebenso selbstverständlich. Sie sprechen liebevoll von ihrer Maha (großen) Kali. Denn sie ist es, die Leben schenkt und den großen Kreislauf des Lebens liebevoll in Gang hält, indem sie gefährliche Dämonen bekämpft. Das ist, wie in vielen anderen Kulturen, etwa in Ägypten, besonders wichtig beim Übergang von einem Leben zum anderen. Durch immer neue Übergänge von einem Lebenszyklus zum anderen sind alle Lebewesen miteinander verbunden. Das gilt nicht nur, aber natürlich auch, für Menschen. 

Swami Sivananda, ein bekannter indischer Yoga-Meister, sagte über die große (Maha) indische Göttin:
„Maha Kālī ist die umformende Kraft der Göttlichkeit, die Kraft, die Vielfalt zu Einheit auflöst.“

Im Shaktakult, ebenso wie Hinduismus allgemein, gilt der Kreislauf von immer neuen Inkarnationen als eine der wichtigsten Grundannahmen des Glaubens. Damit ist – natürlich – auch eine andere Vorstellung vom Tod (und Wiedergeburt) verbunden. Nicht das Sterben oder der Tod ängstigt einen Hindu, sondern eher die Ungewissheit über die nächste Inkarnation.

Ein Hindu gestand mir einmal, dass ihn nichts so sehr grausen würde, wie die Vorstellung, im nächsten Leben als Schwein geboren zu werden. Dass dann all seine Einsichten und Reflexionen in diesem Leben jetzt verloren wären, da er sie nicht mehr erinnern würde. 

Fremdbeschreibung & Selbstbeschreibung einer Religion

Die landläufigen, alltäglichen Fremdbeschreibungen einer Religion sind wohl fast immer mit festsitzenden Vorurteilen behaftet, die einfach da sind. Gerade die zentralen Werte, Symbolik und Heiligtümer einer Religion kann man so nur missverstehen. Man deutet sie als Fremder eben vor dem – selbstverständlichen – Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen und Werte. 

Die Selbstbeschreibung einer Religion ist, umgekehrt – für Außenstehende typischerweise fremd und rätselhaft. Und auch das ist verständlich. Eine Religion muss, um sich entwickeln zu können, ihre eigenen Heiligtümer, Ritualen, Feste und ihr eigenes Vokabular entwickeln. Dazu gehören auch Symbole, symbolische Farben, Götter und ein spezifisches Menschenbild. 

Auf die große Göttin im Hinduismus bezogen: Wie soll oder kann ein Mensch, wie etwa ich und vermutlich auch Du, diese indische Göttin Kali deuten? Die selbstverständliche Deutung der – andersgläubigen – christlichen Briten ist nicht meine. Das wäre eine oder die uns bekannteste, Fremdbeschreibung der Göttin. 

Doch auch mit der Selbstbeschreibung einer Religion und ihrer Götter ist das so eine Sache. Sie ist mir, wie auch anders, fremd. Doch der Soziologe Niklas Luhmann beschreibt in seinem Buch Funktion der Religion, dass man sich nur an die Selbstbeschreibungen einer Religion halten könne, wenn man sie denn deuten will. 

Dritte Perspektiven

Mir bleibt, denke ich, wenn ich eine Gottheit wie die Kali Göttin oder einer Religion wie den Hinduismus beschreiben will, nur der Weg, mir klarzumachen, wie ich sie beobachten kann und will. Sprich: Ich muss meine eigene Perspektive entwickeln.

Welche Kriterien will ich anlegen und wie komme ich überhaupt zu diesen Kriterien? Und damit wären wir bei dem Dritten, der dritten Perspektive. Das ist die einzige Perspektive, die ich selbst verantworten kann. Und das ist eine Perspektive, die mir, so wie ich jetzt bin, wichtig ist.  Ich könnte auch sagen: Diese dritte Perspektive bin ich selbst, meine Interessen, Erfahrungen, meine Vorlieben und Abneigungen, Ängste und Hoffnungen. 

Auf die Kali Göttin bezogen: Interessiert mich ihre Nacktheit, ihre offensive Sexualität? Interessiert mich ihr Verhältnis zu Shiva, oder was Shiva über sie sagt, was er von ihr gedacht haben könnte? 

Vielleicht interessiert mich ja auch, was die Briten so abstoßend an ihr fanden? Und ob ich einen Nachklang dieser christlichen Haltung zu einer nackten, erotischen Göttin in mir finde? Oder interessiert mich, dass sie – schwarz – aus dem Dunkel kommt, da im Dunkeln Leben entsteht und immer entstanden ist? 

Die Kali Göttin als vulvaweisende Göttin

Mithu Sanyal hat in ihrem Buch Kulturen der ganzen Welt nach dem Thema Vulva untersucht. Archaische Göttinnen sind, so ihr Ergebnis, Göttinnen, die sich der Bedeutung der Vulva für das Leben wohl bewusst waren. Vulva, so Mithu Sanyal, verweist auf Geburt, schenkt also Leben. 

Doch dies ist nur eine Weise Leben zu schenken, die offensichtliche, biologische. Symbolisch verweist die Vulva auf eine spirituelle Fähigkeit. Die Fähigkeit, alles in sich aufzunehmen, zu reinigen, zu heilen, zu verwandeln und das ekstatisch, erotisch, im Rausch. Stolz auf die heilende Macht ihres Geschlechts, hoben Frauen ihre Röcke, zeigten ihr Geschlecht, wenn es darauf ankam.

Ishtar / Inanna, Maria Magdalena oder die keltische Morrigan gehören zu den Kronzeugen von Mithu Sanyal. Dabei hat sie Nut, die alte ägyptische Göttin, noch gar nicht mit in ihre Reihe aufgenommen. Nut, so heißt es, verschlingt jeden Abend die Sonne und gebiert sie jeden Morgen aufs neue.

Das Tanzduell zwischen Kali und Shiva

Von Kali, die noch heute in Bengalen und Nepal verehrt wird, erzählt Mithu Sanyal eine nette Geschichte. Sie handelt von einem Tanzduell zwischen Shiva und Kali.

Es gibt eine … Version des Kalimythos, in der Shiva die Göttin zu einem Tanzduell herausfordert und dadurch besiegt, dass er ein Bein in die Höhe wirft und an sein Ohr legt. Kali kann diese Bewegung nicht nachmachen, da sie ansonsten ihr Geschlecht zeigen würde, und gibt sich geschlagen. (Eine andere) Version hat dieses Problem nicht. Sie vollführt die Handlung der Handlungen genüsslich und bewusst. Ihre auf diese Weise geöffnete Yoni entzieht sich, ebenso wie Kali selbst, jedem Versuch, sie zu domestizieren.

Bildquellen: 

© WikiImages auf Pixabay / Schlachtfeld-Kunstdruck

Literaturquellen: 

Spiritualität aus Sicht des Yoga & Advaita Vedanta

Mithu M. Sanyal: Vulva – die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts

Devi Mahatma, Übersetzung ins Deutsche

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