Teiresias, Τειρεσίας, lat. Teresias, der blinde thebanische Seher, ist eine faszinierende Figur der griechischen Mythologie. Er scheint ein Mittler zu sein zwischen Göttern und Menschen, zwischen Frauen und Männern, Leben und Tod wie kein anderer. Und eine Schlüsselfigur ist dieser thebanische Seher für viele Helden und Dichtern der griechischen Antike. Wobei es ja vor allem die Dichter waren, welche Helden (Figuren) wie König Ödipus, Herakles oder Odysseus erschufen. Berühmt war der blinde Seher nicht nur für seine treffsicheren Prophezeiungen, sondern auch dafür, wie er seine Sehergabe erlangte. Zwei Schlangen, eine männliche und weibliche, spielten dabei eine Rolle und ein Götterpaar.
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Der weise Teiresias nach seinem Tod
Ich beginne vom Ende her und das hat zwei Gründe. Zum einen stammt der älteste uns bekannte Bericht über diesen erstaunlichen Menschen von Homer, nämlich aus der Odyssee. Alle späteren Quellen werden sich sehr wahrscheinlich auf Homer beziehen und damit den Mythos von Odysseus und dessen Begegnung mit dem weisen Seher kennen. Zum anderen könnte es sein, dass die Dichter nach Homer versuchten, die ungewöhnliche Gabe des weisen Mannes irgendwie zu erklären. Was also berichtet Homer?
Von Odysseus´s Reise in den Hades, der Unterwelt der alten Griechen, wissen wir, dass Teiresias auch nach seinem Tod bei Sinn und Verstand ist. Mehr noch, er scheint weiterhin die Gabe des Sehens zu haben. Das ist vor allem vor dem Hintergrund bemerkenswert, als Menschen in der griechischen Mythologie nach ihrem Tod im dunklen Hades als Schatten vegetieren mussten. Auf der Überfahrt zum Tode tranken sie nämlich aus dem Fluss Lethe. Deren Wasser bewirken, dass Menschen vergessen, wer sie waren im Leben auf der Erde. Sie sind zu Schatten, schemenhaften Formen der Menschen, die sie einmal waren, geworden.
Nicht so Teiresias. Nicht nur, dass er Odysseus beim Namen kennt und ihm den Weg zurück seine Heimat Ithaka weisen kann. Erstaunlicher noch ist, dass er dem Helden auch sagen kann, wie er sich seinem Widersacher (Poseidon) versöhnen kann. Schließlich weiß er auch, dass Odysseus eines sanften Todes sterben wird.
Mann und Frau – die beiden Schlangen
Aus späteren Quellen erfahren wir dann also mehr über das Leben dieses Mannes, der zeitweise und zwar sieben Jahre lang, in eine Frau verwandelt war und in dieser Zeit nach einigen Quellen sogar zwei Kinder geboren hatte. Teiresias stammt aus Theben, einer Stadt im antiken Griechenland und blieb wohl Zeit seines Lebens, und sein Leben dauerte sieben mal länger als das normaler Menschen, seiner Heimatstadt Theben verbunden. Seine Eltern waren der Hirte Everes und die Nymphe Chariklo, welche sich im Umkreis von Athene aufhielt, was nach einigen Dichtern wichtig für den Werdegang des jungen Teiresias werden sollte.
Wie der junge Mann aus Theben zu einer Frau wurde
Als noch junger Mann beobachtete Teiresias zwei Schlangen, die sich gerade paarten. Was genau er daraufhin tat, berichten die Quellen verschieden. Die einen sagen, er hätte sie getrennt, die anderen, er hätte sie verletzt und die dritten, er hätte die weibliche Schlange getötet. Die Konsequenz war in jedem Fall, dass er sich in eine Frau verwandelte. Oder besser – verwandelt wurde. Näheres berichten die Quellen nicht, aber es wird wohl schnell gegangen sein. Sieben Jahre lang (nach einigen Dichtern sogar acht) lebte er als Frau und das nicht in stiller Einsamkeit, wie man vielleicht denken könnte, sondern Teiresias heirate und gebar zwei Kinder, eines davon, seine Tochter, wurde später selbst zu einer berühmten Seherin.
Die Rück-Verwandlung
Nachdem er sieben Jahre lang als Frau gelebt hatte, traf er erneut auf die beiden Schlangen. Einige sagen, dass es dieselben Schlangen waren wie zuvor, was nur passen würde, wenn er die weibliche Schlange nicht getötet hätte. Andere legen darauf weniger Wert. Und es gibt auch eine Version, nach der es der Orakelgott Apollon war, der ihm riet, die Schlangen ein zweites Mal aufzusuchen. Was genau auch immer er tat angesichts der sich paarenden Schlangen – durch dieses Ereignis wurde er zurück in einen Mann verwandelt.
Wie wurde Teiresias zum weisen Seher und wie erblindete er?
Auch für seine Verwandlung zu einem Seher, einhergehend damit, dass er erblindete, gibt es mehrere Varianten. In der ersten Variante könnte sie direkt mit seinen gerade beschriebenen Verwandlungen zusammen hängen. Denn als Mensch, der sowohl als Mann wie als Frau gelebt hat, konnten ihn selbst Götter fragen, wie er denn Sex mit dem jeweils anderen Geschlecht erlebt habe.
Zeus und Hera
Die beiden lagen im Streit darüber, ob Mann oder Frau beim Sex mehr Lust empfinden würden. Beide wetteten auf das jeweils andere Geschlecht, was durchaus auch anders herum sein könnte. War es aber nicht, Zeus wettete auf die Frauen, Hera auf die Männer. Sie riefen also Teiresias zu sich und dieser gab an, dass Frauen beim Geschlechtsakt neunmal mehr Vergnügen empfinden als Männer. Hera hatte also die Wette verloren und rächte sich stehenden Fußes, indem sie den Mann blendete, sodass er von nun an blind war. Manche erzählen, dass Hera vor allem deshalb erzürnt war, da sie dieses Geheimnis der Frauen lieber, weiterhin, gehütet hätte.
Zeus nun war bemüht, die Strafe der Hera so gut wie möglich aufzuwiegen. Rückgängig machen konnte er sie nicht – sie war eine Göttin. Und der Götter Wort gilt bzw. galt schon im alten Griechenland. Als Ausgleich also und vielleicht auch als Belohnung für seine Ehrlichkeit verlieh Zeus dem Erblindeten die Gabe der Prophetie. Außerdem verlieh er ihm eine lange Lebensspanne von sieben weiteren Generationen.
Athene
Nach einer anderen Version, von anderen Dichtern erzählt, war es die Göttin Athene, die ihn mit Blindheit schlug. Auch in diesem Fall handelte es sich um eine Strafe – und zwar dafür, dass er die Göttin (unfreiwillig) nackt gesehen hatte. Wieder ist es so, dass Athene ihre Entscheidung nicht rückgängig machen konnte. Aber sie kann die Strafe aufwiegen und tut dies auch auf Bitte der Nymphe Chariklo, welche in ihren Diensten stand. Chariklo aber ist die Mutter des Teiresias und erwirkt für ihren von Athena geblendeten Sohn einen Stab und die Gabe, Vogelstimmen zu verstehen. Auch die Gabe, nach seinem Tod bei Sinn und Verstand zu bleiben statt zum Schatten zu werden, soll er von Athene bekommen haben.
Berühmte Prophezeiungen des Teiresias
Nunmehr mit der Gabe der Prophetie ausgestattet, wird Teiresias zu einem viel gefragten Mann. Es suchen vor allem berühmte griechische Helden bei ihm um Rat. Aber auch Königen rät er, mitunter auch ungefragt.
Pentheus und Ödipus
Pentheus ist in einem Drama von Euripides ein König von Theben, der Heimatstadt des Propheten. Anders als in anderen Städten erkennt dieser König den Gott Dionysos nicht als Gott an. Als Dionysos mit seinem Gefolge in die Stadt einziehen will, versucht Euripides den Gott mit Waffengewalt zu vertreiben. Davor hatte der weise Seher ihn zuvor ausdrücklich gewarnt, doch der König hörte nicht. Das Drama endet damit, dass die Frauen im Gefolge des Dionysos den König in tausend Stücke reißen.
Ödipus, auch er ein mythischer König von Theben, hofft (in der Tragödie von Sophokles) auf die Rettung seiner Stadt angesichts einer wütenden Seuche. Er fleht Teiresias an, das Rätsel um den Mörder des Laios zu lösen. Dass die Seuche eine Strafe für den Mord an Laios, den vorherigen König von Theben ist – viel weiß Oidipus schon. Doch der Seher wehrt die Frage ab und bittet darum gehen zu dürfen. Ödipus drängt Teiresias zu einer Antwort und wird immer wütender. Schließlich sagt Teiresias ihm auf den Kopf zu, dass er selbst, Ödipus der gesuchte Mörder sei. Ödipus verspottet den Seher, bis er aufhorcht, als Teiresias die Eltern von Ödipus erwähnt. Nun wird er unsicher, doch gibt es nicht zu, sondern schickt den weisen Teiresias weg. Dieser aber sagt ihm nun deutlich, dass Ödipus selbst der Mörder des Laios ist und dass alles ans Licht kommen wird.
Odysseus und Teiresias in der Unterwelt
In Homers Epos „Odyssee“ begegnete Odysseus dem Teiresias in der Unterwelt. Für seinen Weg nach Hause warnt er den Helden nicht nur vor den Freiern in Ithaka, die seine Frau Penelope belagern, sondern warnt ihn vor den Rindern des Helios. Er sagt ihm dass sein und seiner Gefährten Schicksal von der Unversehrtheit der Rinder des Helios abhänge. Doch seine Gefährten hören nicht auf ihn. Als Odysseus in Schlaf fällt, schlachten seine völlig ausgehungerten Gefährten die Tiere. Der einzige, der die Rache des Helios überlebt und auch das nur mit knapper Not, ist Odysseus selbst. All seine noch verbliebenen Gefährten zerschellen im tosenden Meer.
Teiresias Tod durch eine Quelle von Apollon
Ein Gott ist der blinde Seher nicht und so kommt es, dass er nach der Dauer von sieben Menschenleben dann doch stirbt. Wie über sein Werdegang zum Seher so gibt es auch über seinen Tod verschiedene Versionen. Das gemeinsame der Quellen aber ist, dass sein Tod mit dem Orakelgott Apollon zu tun hat. Der weise Mann, nun schon hochbetagt und vertrieben, entführt (gefangen) oder fliehend aus seiner Heimatstadt Theben, trank aus einer Quelle, welche dem Gott Apollon geweiht war.
Dieser hatte erlassen, dass kein Mensch aus dieser Quelle trinken dürfe. Ob die Quelle für Menschen tödlich war oder der Gott den weisen Mann, da trotz seiner Weisheit Mensch, mit dem Tod bestrafte, darüber schweigen sich die Quellen aus, soweit ich sie gesichtet habe. So oder so – Teiresias wurde auf fremdem Boden beerdigt, was im antiken Griechenland als schlimmeres Übel als der Tod galt.
Symbolische Bedeutung
Teiresias wird oft als Symbol für Weisheit und die Fähigkeit, zwischen entgegengesetzten Polen zu vermitteln, angesehen. Er vermittelt zwischen Frau und Mann, den Göttern und den Menschen, den Lebenden und den Toten und auch zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Denn er kennt jeweils beide Seiten. Am Beginn seiner erstaunlichen Weisheit stehen oder besser paaren sich zwei Schlangen. Und Schlangen haben im antiken Griechenland selbst einen ambivalenten Ruf. Sie gelten als Urkräfte – der Natur – unergründlich weise oft. In Kreta zum Beispiel, einer früh-griechischen Kultur waren Schlangen die heiligen Tiere der Priesterinnen. Später indes galten Schlangen und vor allem fliegende Schlangen, Drachenwesen als lebensgefährlich bedrohlich. Diese Urkräfte der Natur sind es, welche Helden wie Herakles, Perseus und Odysseus besiegen müssen.
Quellen
- Text: Geschlechtswechsel / Athene / Evolution des Menschen / Ödipus und Teresias / https://www.hellenicaworld.com/Greece/Books/de/UntersuchungenZurFigurDesTeiresias.html / Homer: Odyssee / Griechische Helden – Halbgötter und Menschen
- Bilder: Gemälde von Johann Heinrich Füsslin, gemeinfrei / Pietro della Vecchia, gemeinfrei / Foto von Deposit