Es ist nicht allein die Chemie im Gehirn, die unsere Freude bestimmt, sagt der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther. Im Gespräch mit FR-Mitarbeiter Lucian Haas gibt er seine Anleitung zum Glücklich sein: Bewältige ein Problem. (Interview Frankfurter Rundschau)
Herr Professor Hüther, was ist für Sie Freude?
Gerald Hüther: Freude ist ein Gefühl, das sich einstellt, wenn es uns gelingt, die vielen im Gehirn parallel laufenden und sich häufig gegenseitig störenden Verarbeitungsprozesse zu harmonisieren. Wie kann ich das erreichen?
Indem sie es schaffen, ihre eigene Unsicherheit oder Angst zu überwinden. Wenn sie ein Problem selbst bewältigen, empfinden Sie Freude.
Für mein Glück brauche ich also ein Problem?
Je nachdem, wie sie das Wort Problem verstehen, schon. Ich könnte es auch eine Störung des Gleichgewichtszustandes nennen, in den man durch die erfolgreiche Bewältigung eines Problems wieder zurückkehren kann. Nehmen sie beispielsweise ein kleines Kind, das sich in der Nähe der Mutter geborgen fühlt. Sieht es die Mutter plötzlich nicht mehr, wird es unsicher und beginnt zu weinen. Taucht die Mama daraufhin wieder auf, strahlt das Kind. Es hat sein Problem, die Angst, selbst aktiv bewältigt.
Was passiert dabei im Gehirn?
Im Hirn werden Stoffe freigesetzt, die bestimmte Verschaltungen aktivieren. Emotionen wie Angst, Freude oder Wut gehen immer mit der vermehrten Ausschüttung verschiedener Botenstoffe einher. Viele dieser Transmitter – beispielsweise das bisweilen als Glücksstoff bezeichnete Serotonin – wirken als eine Art Vermittler und sorgen dafür, dass zwischen den verschiedenen regionalen Netzwerken im Hirn Harmonie geschaffen wird. Sie sind aber nicht dafür verantwortlich. Es ist nicht die Chemie, die uns die Freude macht, auch wenn dies leider häufig so dargestellt wird.
Was ist es dann?
Die Form, wie wir leben. Es kommt darauf an, daß wir selber uns das Leben so gestalten, daß wir Freude empfinden können, daß wir komplexe Verschaltungen im Gehirn aufbauen und nutzen können. Ganz wichtig ist dafür die Kindheit. Schon in den ersten zwei Lebensjahren werden viele Grundüberzeugungen gelegt, die uns ein Leben lang begleiten. Dabei müssen wir davon ausgehen, daß wir ganz viel von den frühen Bezugspersonen übernehmen. …
Das hieße, wenn ich freudlose Eltern hatte, habe auch ich keine Chance zur Freude?
Eine Chance besteht immer. Das menschliche Gehirn ist zeitlebens veränderbar. Aber es muß einen Grund dafür haben. Damit sich auch später im Leben noch etwas ändern kann, muß etwas tief unter die Haut gehen, muß man ab und zu aus dem seelischen Gleichgewicht geraten, vielleicht auch scheitern. Damit waren wir wieder beim Bewältigen eines Problems, um glücklich zu werden.
Gibt es auch andere Möglichkeiten, Harmonie im Hirn zu gewinnen?
Ja. Zum einen wäre da die Entspannung zu nennen. Entspannung sorgt für Harmonie – allerdings fällt es vielen Menschen sehr schwer, sich wirklich zu entspannen. Des weiteren sind es Rhythmen. Trommeln oder das Tanzen sorgen für wunderbare Harmonie im Gehirn.
Selbst das Rosenkranzbeten, das Aufsagen von Mantras oder rhythmischen Gedichten bringt Freude. Zuletzt sind da noch Drogen wie Ecstasy und Kokain, die direkt in die Transmitter-Systeme des Körpers eingreifen und das Hirn zumindest kurzzeitig harmonisieren.
Wie lange hält Freude normalerweise an?
Es gibt die plötzliche Harmonie oder einfach gesagt: die Lust. Sie ist beispielsweise die Grundlage aller Extremsportarten. Bei einem Bungeesprung entladen sich Angst und Spannung in einem Harmoniekick wegen der gelungenen Überwindung der eigenen Angst. Es ist ein Rausch, der aber nur kurz andauert. Alle konsumierbaren Dinge bereiten nur kurzfristig Freude.
Wie kann ich langfristig glücklich werden?
Länger anhaltendes Glück setzt voraus, daß man sich Ziele setzt, die nicht so schnell zu erreichen sind. Da kann man von einer Herausforderung zur anderen, von einer Unsicherheit zur nächsten gelangen und dabei beobachten, wie man bei der Bewältigung von Problemen immer besser, immer sicherer, vielleicht auch immer vollkommener wird. Der Weg ist dann das Ziel.