Cernunnos ist eine keltische Gottheit, ein gehörnter Gott wird er genannt, denn sein Name wird als „der Gehörnte“ übersetzt.
In seiner Kultur wird Cernunnos als Gott der Natur, der Fruchtbarkeit und insbesondere der Unterwelt / bei den Kelten eher: Anderwelt verehrt.
Natur, Fruchtbarkeit und „Anderwelt“ repräsentiert Cernunnos mit göttlicher Autorität auf eine Weise, wie sie auch von Dionysos, einer ebenfalls außergewöhnlichen Gottheit der Griechen bekannt ist.
Im Sommer hat Cernunnos die Gestalt eines Ebers, im Winter die eines Hirsches.
Cernunnos – Herr der Tiere
Dem gehörnten Gott der Kelten – wie auch dem efeubekränzte Gott der Griechen – nähern sich die Menschen nicht in Tempeln als vielmehr in der freien Natur.
Als Gott der Natur ist Cernunnos nicht nur die Herr der Tiere, sondern wird als auch durch die heiligsten Tiere seiner Kultur repräsentiert: dem Eber und dem Hirsch. Die Parallele zum kriegerischen Liebes- und Fruchtbarkeitsgott der nordischen Mythologie, Freyr, ist deutlich – das Tier von Freyr ist der goldborstige Eber, mit dem er in den Kampf reitet.
Mitunter wird nicht nur eine Parallele zwischen Freyr und Cernunnos gezogen, sondern beide Gottheiten gleichgesetzt.
Der Gott mit seinen Tieren: Hirsch, Wolf und Schlange
Eine Besonderheit der Gestalt des Cernunnos ist vor allem, dass er – gemeinsam mit der großen Erdmutter – als die zentrale Gottheit der nordischen Mythologie überhaupt galt. Die männliche Kraft der Gottheit: vermittelnd, schützend, befruchtend.
Und eben auch zwischen Diesseits und Jenseits vermittelnd, wie zwischen Leben (Hirsch) und Tod (Wolf). Und auch die Schlange – das universelle, in allen Kulturen auftretende Symboltier für das Leben schlechthin, gehört zu seinen Begleitern. Im Bild – dem Kessel von Gundestrup – sitzt Cernunnpos zwischen dem Wolf und dem Hirsch und hat die Schlange in der Hand.
Cernunnos selbst trägt ein Hirsch-Geweih und wird auch meist in er Gestalt eines schönes stattlichen Hirsches verehrt.
Ein Gedicht von einer französischen Nonne (Marie-Pierre) beschreibt den besonderen Zauber des gehörnten Gottes in sehr schönen Bildern:
Sag ihnen was der Wind den großen Steinen sagt,
was das Meer den hohen Bergen sagt,
Sag ihnen, dass eine unendliche Liebe
das Universum seit Urzeiten durchdringt.
Sag ihnen, dass er nicht ist, was sie glauben,
sondern ein lieblicher Wein ist, den man trinkt,
ein gemeinsames Mahl,
in welchem jeder gibt und empfängt.
Sag ihnen, dass er der Flötenspieler im
Mondlicht um Mitternacht ist;
Er nähert sich zunächst und läuft dann doch weg,
er springt über Bäche und heilige Quellen.
Erzähle ihnen über sein schuldloses, grünes Gesicht,
über sein Licht, Schatten und Gelächter.
Sag ihnen, dass er dein Raum und deine Nacht ist,
deine Wunde und deine Freude, dein Feind und dein Freund.
Aber sag ihnen auch,
dass er nicht so ist wie du ihn beschreibst,
und dass du ihn eigentlich gar nicht kennst.
Und hier noch ein Liedtext – der Folklore-Band Faun:
Cernunnos
Zaghaft reckt am Rand der Welt
die Sonne sich nach den Sternen
und friedlich lag im ersten Licht unser Dorf.
Und da leis‘ uns der Morgen
eine Ahnung des kommenden Tages flüstert,
fand eine Spur sich unweit der Hütten,
die eines prächtigen Hirschen war
und lohend Richtung Wald sich wand.
In ihrem Angesichte ahnten wir,
prachtvoller war dieses Tier,
als jedes das bis zu diesem Tag wir erjagt.
Nach Jagdruhm, Sieg und Trophäen trachteten wir,
waren, bevor noch am Himmel die Sonne stand, in Waffen.
Und auf den frühen Nebeln des Tages reitend
verließen wir Jäger das Dorf.
Zu jener Stunde noch waren wir viel,
ausgezogen den Wald zu erobern,
unser Jagdglück zu suchen im Zwielicht des Morgens
und zwischen wispernden Blättern.
Von Baum zu Baum eilten wir,
schweigend, die Blicke auf des Hirschen Spur geheftet,
seltsame Schrift in Blatt und Sand, fremdart’ge Worte,
denen wir folgten ohne sie zu versteh’n.
Der Wald war ein einziger Schatten,
in dem Fragen und Antwort gleichsam sich bargen.
Wir aber sahen einzig die Spur,
an deren Ende die mächt’ge Trophäe wir wähnten.
Kraftvoll blieb der Beute Schritt
und weit, weit maß ihr Huf.
Dies war die Zeit, zu sein und zu werden
und diese Jagd sollt keiner gleichen,
die bis zu diesem Tag wir gewagt
und keinem and’ren Tiere dies,
welches den Wald durchzog, als wollte es ihn zeichnen.
Leis‘ flüstert vom Waldesgrund uns seine kraftvolle Spur,
dass im Gefolge dieses Hirsches ein Rätsel sich befand,
das prachtvoller noch war als er selbst.
Einige von uns flohen dies Geheimnis,
erschöpft gaben andere auf
und kleiner ward mit jeder Stunde
der Jagdgefährten Zahl.
Das Laub aber flüsterte heller,
mit jedem der den Wald verließ,
beinah, als verlacht uns das Dickicht.
Bald, da der Tag dem Abend sich nahte,
der Schatten des Hungers längst die Mienen verdunkelt,
waren einzig zwei noch geblieben.
Und einer der beiden war ich.
Auf einer Lichtung,
an deren Grund der Abendsonne Schatten,
in die fremden Spuren sich mischte,
standen schließlich wir ihm gegenüber,
jenem prachtvollen Hirschen
mit seinem Huf voll Geheimnis.
Sein Blick kreuzte den unseren,
hehr fiel durch sein prächtiges Geweih
das letzte Licht des Tages
und in stummer Ehrfurcht erstarrten wir,
die wir gekommen waren ihn zu besiegen.
Wie noch hätten wir’s vermocht ?
Wir standen Aug in Aug mit Gott,
die Luft erfüllt von flirrendem Wunder
und vergessen Jagd und Ruhm.
Da fiel der Bogen des letzten Gefährten
und er floh Hirsch und Wald, heim ins Dorf.
Bloß ich war noch geblieben,
der ich im silbernen Auge des Hirschen
mich selber gewahrte.
Wie seltsam war, was ich schaute,
Wie seltsam, was ich erkannte.
Jäger war ich gewesen
und nunmehr Beute geworden.
Am Ende der Jagd stand ich selbst,
war meiner eig’nen Spur gefolgt,
vom Morgen bis zum Abend,
hatte sie rätselhaft geheißen
und nicht von ihr lassen können.
Wie hätt‘ ein andrer an meiner statt hier stehen können!
Ich stand mir selbst gegenüber,
der Speer in der Hand blanker Hohn.
Verschwunden der Hirsch,
geblieben bloß ich.
Aus meinen Schläfen spross sein Geweih
und im letzten Licht der Sonne stand ich,
nicht Jäger noch Beute,
bloß ich,
und meine eigene Trophäe mir.
Ein Schmuck, den niemand sehen
und den niemand wissen würde.
Ins Dorf würde ich heimkehren als einer von vielen,
dem die Götter vermeintlich nicht hold gewesen.
Ich aber war auf einer höheren Jagd
und habe, ohne einen Speer zu schleudern,
die höchste Huld der Götter mir erstritten.
Cernunnos und Dionysos
Dionysos hat Leoparden, Tiger, Elefanten und natürlich die Schlange in seinem Geleit und kann sich nach Belieben in all diese Tiere verwandeln. Er selbst wird vor allem mit dem Stier gleichgesetzt. Als Dionysos Zagreus ist er – wie Cernunos – ein gehörnter – Gott.
Gehörnt ja – das ist es denn auch, was die christlichen Missionare aus Cernunnos (wie auch aus Freyr und bei den Griechen aus Dionysos) machen: Den Gehörnten, und – bösartigen – Widersacher Gottes.
Das vielleicht wichtigste Kennzeichen dieser beiden großen gehörnten Götter ist der Wandel ihrer Gestalten. Und das heißt nichts anderes (in diesem Fall): ihre Vertrautheit mit der Unter- bzw. Anderwelt.
Anders als die meisten anderen Götter sind Dionysos und Cernunnos sowohl in der Welt des Lichtes als auch in der Unterwelt zu Hause. Die sie begleitende Schlange weist auf diese Fähigkeit, zwischen den Welten zu wandern, hin.
Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Götter unterstreicht diese Verwandtschaft: Dionysos wie Cernunnos sind der Sohn der großen Unterwelts- bzw. Erdgöttin ihrer Kultur. Dionysos – Sohn der Persephone, Cernunnos – Sohn der großen Mutter und Erdgöttin der Kelten.
Und schließlich zeichnet beide Götter gleichermaßen vor vielen anderen männlichen Göttern der Fruchtbaren Natur und der unbestimmt vagen Unterwelt ihre Stellung als Gott aus.
Die Unterschiede zwischen Dionysos und Cernunnos scheinen dagegen vergleichsweise marginal und eher der Landschaft ihrer Kultur zuzurechnen zu sein.
Die Tiere unterscheiden sich teilweise, doch selbst Wein – für den Dionysos bekannt ist – und Ekstase gehören ebenfalls zu den Insignien von Cernunnos.
Ein deutlicher Unterschied der beiden Götter könnte immerhin ihre – typische Art der Wandlung und Wiedergeburt sein.
Dionysos ist ein Gott, der getötet wird – und wieder neu, anders geboren wird. Cernunnos dagegen wird nicht als sterbender Gott beschrieben. Sein Wandel der Gestalten geschieht, indem er sich mit der großen Mutter – seiner Mutter und Geliebten – vereinigt – und so eine neue Gestalt annimmt.
Quellen:
Der Liedtext: Faun
Bildquelle:
© https://www.wikiwand.com/gl/Portal:Celtas
„Dem gehörnten Gott der Kelten – wie auch dem efeubekränzte Gott der Griechen – nähern sich die Menschen nicht in Tempeln als vielmehr in der freien Natur.“
Man sollte meinen, dass Kelten und Altgriechen nicht in einen Zusammenhang gesetzt werden. Dem ist allerdings nicht so. Es gibt die Sage, dass der griechische Herakles (Herkules) einst im Land der Kelten (Galater) ankam (nachdem er das Ungeheuer Orthos erschlagen hatte) und dort eine Frau mit dem Namen Keltine schwängerte. Keltine wurde die Mutter des Keltos (Galates), dem Stammvater der Kelten (Galater) ->
Keltos (Galates), Stammvater der Kelten
.. sehr schön, inspiriert und inspirierend: wer das wohl ist, der das Flüchtige sucht, mit Selbsterkenntnis in Selbstüberwindung die Gegensätze vereinend den Triumph erringt?!?