Die (oder auch der) große Sphinx von Gizeh ist zweifellos eines der faszinierendsten und mysteriösesten Bauwerke der Menschheitsgeschichte. Hinter ihrer majestätischen Erscheinung verbirgt sich ein architektonisches Wunder. Es wurzelt aber in der mythologischen Bedeutung des Sphinx. Und was nicht so bekannt ist: Diese Sphinx ist eng mit dem ägyptischen Gott Harmachis, dem Horus im Horizont, verbunden.
Inhaltsverzeichnis
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Der große Sphinx von Gizeh: Ein Symbol der Antike
Der große Sphinx von Gizeh ist eine massive Steinfigur mit dem Körper eines Löwen und dem Kopf eines Menschen. Sie thront von Kairo kommend, noch vor den drei großen Pyramiden – wie ein Wächter. Der Sphinx gilt eines der bekanntesten Wahrzeichen Ägyptens und hat Generationen von Forschern, Archäologen und Touristen gleichermaßen fasziniert. Die Länge der Sphinx beträgt rund 73,5 Meter, wovon 15 Meter auf die ausgestreckten Vorderbeine entfallen. Das Gesicht der Sphinx ist 4 Meter breit, der Kopf mit Kopftuch 6 Meter. Die Gesamthöhe beträgt 20,2 Meter.
Harmachis: Gott der Morgen- und Abendsonne
Harmachis, auch bekannt als Hrumachis, Hor-em-akhet oder Horus des Horizonts, gilt als Inbegriff von Weisheit unter den ägyptischen Gottheiten. Der Name „Harmachis“ bedeutet wörtlich „Horus im Horizont“ und verweist auf seine Rolle als ein besonderer, man kann auch sagen: spezieller, Sonnengott. Die Formen Harmachis und Hrumachis bedeuten im Ägyptischen dasselbe, da sie dieselben Konsonanten haben. Vokale wie in hier a, i bzw. u stammen von uns Späteren, um die Worte sprechen zu können.
Gott der Morgensonne
Hramachis, der „Horus im Horizont“, wird oft als jugendlicher Mann mit einem Falkenkopf dargestellt, der die Sonne in jenem Moment, da sie aufgeht, symbolisiert. Er wird als Gott der Morgensonne verehrt, als jener Gott, der jeden Morgen aus dem östlichen Horizont aufsteigt. Doch Ägypten war nicht nur ein für damalige Verhältnisse riesiger Staat, sondern blieb auch um die dreitausend Jahre lang relativ stabil. Sicherlich relativ stabil, es gab das alte, mittlere und neue Reich + relativ chaotischen Zwischenzeiten. Solch eine Kontinuität der Kultur können wir heutigen uns kaum vorstellen. Dreitausend Jahre! Im Laufe dieser Zeit wandelten sich viele Götter des antiken Ägyptens, verschmolzen mit anderen Göttern oder differenzierten sich in mehrere Götter aus. So könnte es auch im Fall von Harmachis gewesen sein.
Harmachis wird zum Gott der Morgen- und Abendsonne
Der Sonnenaufgang ist dem Sonnenuntergang zwar entgegengesetzt, aber doch so ähnlich, dass sich oft nur aus dem Kontext erschließen lässt, um welchen der beiden es sich gerade handelt. Insofern liegt es nahe, dass ein Gott des Sonnenaufgangs im Laufe der Jahrhunderte, oder gar Jahrtausende, auch zum Gott des Sonnenuntergangs wird. Der entscheidende Punkt könnte eben diese Vorstellung von einem Gott, nämlich „Horus im Horizont“ gewesen sein. Dieser, ja relativ kurze, Zeitraum trifft auf die Sonne am Morgen und jene am Abend gleichermaßen zu. Zudem steht der Jubel angesichts der aufsteigenden Sonne nicht nur für sich, sondern zeigt auch auf etwas, was gerade nicht geschieht. Die aufgehende Sonne mit ihrem Gegenpart der untergehenden Sonne verweisen auf die Ewigkeit, auf ewig sich erneuerndes, vergehendes und wieder erneuerndes Leben. Und das ewige Leben galt als ein zentraler Wert der alten Ägypter.
Die Verbindung zwischen der Sphinx und Harmachis
Die Verbindung zwischen der Großen Sphinx von Gizeh und dem Gott Harmachis ist seit langem Gegenstand von Spekulationen und Interpretationen. Einige Ägyptologen glauben, dass die Sphinx das Gesicht des Pharaos Chephren trägt, der während der vierten Dynastie regierte und für den Bau der nahe gelegenen Pyramiden verantwortlich war. In dieser Interpretation wird die Sphinx als Schutzpatron des Pharaos und als Symbol seiner Macht und Autorität angesehen.
Eine andere Theorie besagt jedoch, dass die Sphinx tatsächlich das Gesicht von Harmachis darstellt, was auf eine tiefere mythologische Bedeutung hinweist. Nach dieser Interpretation verkörpert die Sphinx den Gott selbst, der als Wächter des Horizonts und Beschützer der königlichen Nekropole von Gizeh fungiert. Diese Vorstellung unterstreicht die spirituelle Dimension des Bauwerks und seine Verbindung zur kosmischen Ordnung.
Die spirituelle Bedeutung der Sphinx und Harmachis
Für die alten Ägypter war der Große Sphinx von Gizeh mehr als nur ein physisches Bauwerk. Sie war ein heiliges Symbol, das die Verbindung zwischen Himmel und Erde, Leben und Tod, Vergangenheit und Zukunft repräsentierte. Als Verkörperung des Gottes Harmachis wurde der Sphinx als Vermittler zwischen den Menschen und den Göttern betrachtet, der über das Schicksal der Welt wachte und den Seelen der Verstorbenen den Weg ins Jenseits wies.
In den ägyptischen Texten wird Harmachis oft als derjenige beschrieben, der die Toten auf ihrer Reise zu Osiris begleitet. Seine Rolle als Sonnengott symbolisiert auch Leben, Tod und Wiedergeburt, was in der ägyptischen Kultur zentral war.
Der Gott Hrumachis bei Aleister Crowley
Im „Liber Al vel Legis“ taucht in einem zentralen Vers ein ägyptisch klingender Gott „Hrumachis“ auf.
„But your holy place shall be untouched throughout the centuries: though with fire and sword it be burnt down & shattered, yet an invisible house there standeth, and
shall stand until the fall of the Great Equinox; when Hrumachis shall arise and
the double-wanded one assume my throne and place….“
„Aber dein heiliger Ort soll unberührt bleiben, obwohl er mit Feuer und Schwert niedergebrannt & zertrümmert wird, steht dort doch ein unsichtbares Haus, und es wird stehen bis zum Anbruch des Großen Äquinox; wenn Hrumachis sich erhebt und der mit dem Doppelstab meinen Thron und Platz einnimmt….“
Ich gehe davon aus, dass der „Hrumachis“ im Liber Al vel Legis denselben ägyptischen Gott meint, eben den Gott „Harmachis“. Crowley war bekannt für seine Interessen an Okkultismus, Mystik und verschiedenen spirituellen Traditionen, besonders des alte Ägyptens. Hrumachis auf Harmachis zu beziehen wäre also nicht ungewöhnlich, da Crowley sich mit den Göttern der antiken Ägyptens gut auskannte. Er wusste also auch, dass die Hieroglyphen nur Konsonanten bezeichneten. Die täglichen Schauspiele am östlichen bzw. westlichen Horizont, welche mit dem Horus der Horizonte verbunden sind, vermögen unseren Blick auf uns selbst in dieser Welt zu weiten und zu heben. Und tun dies auch, sobald wir uns die Zeit und Ruhe gönnen. Kein Wunder also, dass gerade dieser alte ägyptische Gott sich als Metapher für eine kommende Gottheit und spirituelle Transformation der Menschheit eignet.
Die Sphinx und Ödipus
Nur der Vollständigkeit halber und um Irritationen vorzubeugen: Auch das antike Griechenland kannte Sphingen (Mehrzahl von Sphinx). Doch das waren ganz andere Wesen als die Sphinx als Horus im Horizont. Auch sie hatten einen menschlichen Kopf und einen Löwenkörper, doch dieser hatte die Flügel eines Raubvogels. Berühmt uns heutigen ist vor allem jene Sphinx, die König Ödipus folgendes Rätsel stellt:
τί ἐστιν ὃ μίαν ἔχον φωνὴν τετράπουν καὶ δίπουν καὶ τρίπουν γίνεται;
Was ist es, das mit einer Stimme begabt, bald vierbeinig, zweibeinig und dreibeinig wird?
Öidpus konnte es lösen, was ihm das Leben rettete. Denn diese Spinx bewachte den Zugang der Stadt Theben und tötete jeden Wanderer nach Theben, der es nicht lösen konnte. Sie soll ich selbst in den Abgrund gestürzt haben, nachdem Ödipus ihr Rätsel hatte lösen können.
Fazit – die große Sphinx als Horus im Horizont
Die Große Sphinx von Gizeh und der Gott Harmachis sind durch die zentrale Rolle der Sonne und der damit verbundenen Vorstellung ewigen Lebens miteinander verbunden. Die Sonne im Moment des Aufgehens oder eben des Untergehens – „Horus im Horizont“. Ihre Vereinigung symbolisiert die künstlerische und architektonische Meisterleistung der alten Ägypter. Und diese drückt die tiefe spirituelle Dimension ihrer Kultur aus, weit über die unmittelbare Gegenwart hinaus denken, fühlen und handeln zu können. Bis heute bleibt der Sphinx ein Symbol für die Weisheit des antiken Ägypten. Mit dem großen Sphinx von Gizeh hat vielleicht nicht zufällig eine ewig kommende Gottheit des Lebens auf beeindruckende Weise mehr als vier Jahrtausende überlebt.
Quellen:
- Text: https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fe_Sphinx_von_Gizeh / https://ancientegyptonline.co.uk/horemakhet/ Hans Bonnet: Lexikon der ägyptischen Religionsgeschichte. Nikol, Hamburg 2000, ISBN 3-937872-08-6. / Rolf Felde: Ägyptische Gottheiten. 2. erweiterte und verbesserte Auflage. R. Felde Eigenverlag, Wiesbaden 1995 / https://de.wikipedia.org/wiki/Aleister_Crowley / Liber Al vel Legis
- Bilder: © Great Sphinx © Usuario Barcex CC BY-SA 3.0 / Mohammed fayez aldalou – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62688941 / Djehouty – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=57991405 / MusikAnimal – Own work, CC BY-SA 3.0. https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=40954313 / Von Menelaus Painter – Jastrow (2007), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1260306
Die Sphinx von Gizeh ist die berühmteste Sphinx der Welt. Da stellt sich natürlich die Frage, was „Sphinx“ bedeutet:
Prinzipiell wird jede Sphinx als Mischwesen beschrieben. In der ägyptischen Version wird eine Sphinx meist als Statue von einem Löwen gedacht, ausgestattet mit einem Menschenkopf. Die Darstellungen der griechischen Sphinx zeigen häufig einen geflügelten Löwen mit dem Kopf einer Frau. Ein Schlangenschwanz wird der griechischen Sphinx ebenfalls häufig zugeordnet. Der Plural von Sphinx lautet Sphinxe oder Sphingen. Es gibt in einigen Mythologien diese Sphinxe oder Sphingen. Die griechische Sphinx wird eindeutig als „Würgerin“ – also weiblich überliefert. Sphinxe oder Sphingen können auch männlich sein. Es gibt Sphingen / Sphinxe von Königen (männlich) und von Königinnen / Prinzessinnen (weiblich).“
Die griechische Sphinx ist eine Daimona, die ihr Rätsel stellte. Wer es nicht lösen konnte, wurde von ihr erwürgt und aufgefressen.
Die Sphinx in der griechischen Mythologie
Ja, du hast recht. Der (in dem Fall) berühmteste Sphinx steht in Gizeh. Der berühmteste Mythos, in dem Fall einer weiblichen Sphinx, aber kennen wir aus Griechenland: dem mythischen König von Theben König Ödipus.