Eine mythische Welt ist belebt durch mythische Tiere und mythische Pflanzen.
Lehrte der berühmte amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell.
Eine Dichte an Leben, die im städtischen Leben grau oder verschüttet ist.
Man ernährt sich eben.
In den Mythen unserer Vorfahren dagegen waren Tiere und Pflanzen heilig.
In Träumen aber und beim Schreiben von Gedichten kann das Leben lebendig werden.
Die meisten Menschen kommen beim Träumen, Dichten, Singen recht schnell in Berührung mit ihrer natürlichen Herkunft.
Bill Moyers: Was geschah mit der mythischen Phantasie, als Menschen sich von der Jagd auf Tiere dem Pflanzen von Samen zuwandten?
Joseph Campbell: Es kommt zu einer dramatischen und totalen Wandlung, nicht nur der Mythen, sondern der Psyche selbst, glaube ich. Sehen Sie, ein Tier ist ein Gesamtwesen, es steckt in einer Haut. Wenn man dieses Tier erlegt ist es tot – das ist sein Ende. In der Pflanzenwelt gibt es so etwas wie ein in sich abgeschlossenes Individuum nicht. Sie schneiden eine Pflanze, und ein anderer Trieb kommt. Es hilft der Pflanze, wenn man sie beschneidet. Das Ganze ist einfach eine fortwährende Immanenz.
Daher wird in den Wald- und Pflanzerkulturen der Tod eigentlich gar nicht als Tod wahrgenommen, dieser Tod ist nötig für neues Leben. Und der Einzelne ist kein richtiges Individuum, er ist ein Zweig einer Pflanze … wenn man eine Pflanzerkultur hat, wird die Pflanze gehegt, die man essen will.
Die Indianer waren hauptsächlich Jäger, aber sie bauten auch Mais an. Eine Algonkingeschichte über den Ursprung des Maises berichtet von einem Knaben, der eine Vision hat.
In dieser Vision sieht er einen jungen Mann, der mit großen grünen Federn auf dem Kopf zu ihm kommt und den Knaben auffordert, mit ihm zu ringen. Er gewinnt und kommt wieder und gewinnt und kommt abermals und so weiter.
Doch eines Tages sagt der junge Mann zu dem Knaben, beim nächsten Mal müsse er ihn töten und begraben und den Ort pflegen, an dem er ihn begräbt. Der Knabe tut wie ihm geheißen und tötet und begräbt den schönen Jüngling. Nach einer Zeit kehrt der Knabe zurück und sieht dort, wo er den gefiederten jungen Mann begraben hat, den Mais wachsen.
Nun hatte sich dieser Knabe Sorge gemacht um seinen Vater, der ein Jäger war, aber alt. Der Junge hatte sich überlegt, ob es außer dem Jagen vielleicht noch eine andere Art geben könnte, an Nahrung zu kommen.
Aus dieser Absicht heraus hatte er diese Vision. Am Ende der Geschichte sagt der Knabe zu seinem Vater: „Jetzt müssen wir nie wieder auf die Jagd gehen.“ Das muss für diese Menschen ein großer Augenblick des Erwachens gewesen sein.
(aus: Joseph Campbell: Die Kraft des Mythos
Absätze und Auslassungen von mir – A.J.)