In ärgerlichen oder gar Not-Situationen neigen wir zu Redewendungen, wie diesen: Oh mein Gott, das kann doch nicht wahr sein! Dass es durchaus Sinn macht, sich zu fragen, was Gott mit meinem Unglück zu tun haben könnte, kann man lernen, wenn man Eugen Drewermann zuhört.
Oh mein Gott!
Oh Gott, das ist jetzt nicht wahr.
Lieber Gott, mach, dass das nicht wahr ist!
Ach Du lieber Gott – warum ich?
Großer Gott, was soll denn nun werden!
Gott bewahre!
Herrgott nochmal!
Da sei Gott vor!
Was machen wir da eigentlich und warum tun wir das? Woher kommt die Gewohnheit, nach Gott zu rufen, besonders dann, wenn wir in Not sind? Interessant ist ja, dass keinesfalls nur gläubige Menschen, nach Gott rufen, wenn Sie in Schwierigkeiten geraten. „Oh mein Gott“ oder auch „Herrgott nochmal!“ habe ich schon aus vielen Mündern gehört, meinen eigenen einbegriffen. Und wenn ich in dem Fall von mir auf andere schließen darf: Die vermutlich grad nicht bemerkten, von wem oder was sie sprachen.
Warum wir in Notsituationen Götter rufen
Wenn der Abfluss verstopft ist, der Haustürschlüssel verloren gegangen ist oder einfach ein Missgeschick passiert, rufen Menschen nicht selten Götter an. „Oh Gott, warum passiert das ausgerechnet mir?“ oder „Lieber Gott, das kann doch jetzt nicht wahr sein!“ ertönt es dann.
So müssen die Götter immer dann herhalten, wenn es zu einem Unglück kommt. Andersherum beschwören wir sie in Glücksmomenten eher selten. Oder doch? Was ist mit bewundernden Ausrufen wie: „Oh mein Gott, ist das schön!“ Das merken wir uns mal vor. Bleiben wir erstmal bei der Notsituation. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, müssen wir weiter in der Geschichte zurückblicken. Seit der Antike bis etwa vor hundert Jahren war der Glaube an göttliche Botschaften sehr viel verbreiteter als es heute der Fall ist. Welchen Einfluss eine allwissende und allgütige Autorität im Monotheismus auf die Menschen hatten, war höchst umstritten. Oder von Religion zu Religion verschieden.
Besonders im Mittelalter ging man davon aus, dass Menschen für ihre Sünden und Fehltaten bestraft haben, wenn das Unglück den eigenen Hausstand betroffen hat. Im Hinduismus spricht man eher von Karma: Tut man Gutes, passiert auch etwas Gutes. Verhält man sich schlecht, hat man Unglück. Doch wenn der Abfluss verstopft ist, kommt niemand auf die Idee zu warten, bis ein jenseitiges Wesen das Rohr wieder heile macht. Jeder noch so Gläubige wird statt dessen, um teure Anfahrtskosten zu verhindern, ein Abflussunternehmen beauftragen, welches in der eigenen Stadt ansässig ist. Das findet man meistens innerhalb weniger Minuten bei einer Web-Recherche. Suchbegriffe wie Rohrreiniger in Bremen ermöglichen es auf eine Liste von Notdiensten für Rohrverstopfungen den nächst gelegenen Klempner zu finden.
Wenn Götter nicht helfen können – wieso rufen wir sie dann?
Helfen können einem die Götter also nicht, wenn man gerade ein akutes, praktisches Problem wie einen Rohrbruch im eigenen Haus hat. Und wie gesagt, das wissen nicht nur wir Aufgeklärten heute. Auch in der Antike, selbst in katholischen Klöstern, so nehme ich an, haben die Mönche das Rohr repariert und nicht – statt dessen – auf den Herrgott selbst vertraut. Und doch haben sich Götter so tief in unsere Sprache gesenkt, dass viele Menschen sie verwenden, auch wenn sie keineswegs an eine Strafe Gottes glauben, wenn sie mit den Füßen in einer platschnassen Küche stehen.
Könnte es sein, dass wir Götter vor allem dann auf der Zunge haben, wenn uns etwas Überraschendes geschieht? Etwas womit wir keinesfalls gerechnet haben. Etwas, was wir, vermeintlich zumindest, nicht selbst verursacht haben? Das könnte, um auf die überraschend glücklichen Momente zurück zu kommen, ja auch ein glücklicher Zufall sein.
Was kann ich tun?
Denn gerade dann, wenn wir nicht wissen, wie das Unglück, die Krankheit, der Rohrbruch oder auch das Glück denn kommen konnte, sind wir ja in Not. Wenn wir uns keiner Schuld bewusst sind, wissen wir ja nicht, was wir tun können, damit ähnliches nicht wieder passiert. Oder umgekehrt, was wir tun können, um öfter mal glücklich zu sein. Also wollen wir umso dringlicher wissen, wer oder was da noch alles mitspielt. Die Götter als großes, unendliches Zusammenspiel von allem mit allem. Aus der Perspektive würden wir gern sehen können, wenn wir in Not, oder in großem Glück sind. Dass da ein Sinnzusammenhang ist, einer möglichst, den ich selbst beeinflussen kann.
Sich selbst, klar sehend, in einen großen, ja unendlichen Zusammenhang erleben, Götter scheinen für Menschen – auch – diese Funktion zu haben. Ein anderer Blick auf die eigene Situation, ein weiser Blick, der Orientierung gibt. Ob man solch einen Blick dann Göttern zurechnet oder nicht, mag noch eine andere Frage sein. Hilfreich, rettend auch, um Richtungsentscheidungen treffen zu können, ist er durchaus für viele.
Eugen Drewermann beschreibt im Interview mit „Sternstunde der Religion“ im SRF Kultur sehr eindrücklich, wie Menschen lernen können, diese Perspektive (Gottes) einzunehmen. Sie lernen es im Laufe ihres Lebens, je näher sie ihrem eigenen Tod kommen, desto besser. Psychologisch statt religiös kann man sich auch mit Hilfe von Coaches wie Jens Corssen selbst an´s Schlafittchen kriegen. Ein Spruch von ihm, der mir oft in den Sinn kommt und der hier in den Kontext am besten passt, lautet:
Wo ich bin, will ich sein! Alles andere war mir bisher zu teuer!
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